Der Fliegenfischer 

„Ich bin Fischer“, sagte der Herr mit dem großen Krempenhut. „Fliegenfischer“, setzte er nach, während er sich bückte, um dem kleinen Jungen näher zu sein. Die großen, schweren Stiefel glichen Säulen und in seiner, am Bund abgeschnürten Wathose sah er aus wie eine riesige Bratwurst.

„Ja ja“, sagte der Fischer, wischte sich den Schweiß von der Stirn und hockte sich neben den kleinen Jungen. Mit hochrotem Kopf und breitem Grinsen zeigte er ihm seine Angel. 

„Schau“, sagte er, während seine dicken Finger eine kleine Metalldose aus dem Beutel hervorholten. Er öffnete sie und versuchte eines der winzigen Haarbüschel zu greifen, die sich eingepfercht darin versteckten.

„Das ist eine Fliege, hehe.“ 

Zwischen Daumen und Zeigefinger eingeklemmt, hielt er das mit Fasanfedern umwickelte Teil, an dessen Ende eine goldene Kugel hervorblitze, nach oben. Die zittrige Hand ließ das Unikat so lebendig erscheinen, als wollte es jeden Augenblick abheben und wegfliegen. 

„Das werden wir nun an die Schnur binden und dann …“, erfolglos versuchte er, das fast unsichtbare Ende einer Nylonschnur durch die Öse zu fädeln, steckte ungeduldig das Büschel Fasan zwischen seine Zähne, um mit der frei gewordenen Hand nach seiner Brille zu suchen, die er bald darauf mit einer Schräglage wie Titanic vor dem Untergang auf seiner Nase platzierte. 

„Ha, siehst du“, sagte er, immer noch seine Fliege zwischen den Zähnen festhaltend. 

Nun hatte er mehr Kontrolle über die Schnur und nach wenigen Versuchen war sie durch. Flink knotete er und steckte ein Ende zwischen seine Zähne, speichelte es ein und zog an dem anderen mit seiner Hand. Danach biss er das überlange Stück ab und spuckte es wieder aus, als hätte er eine Spinne verschluckt. Schweiß tropfte von seiner Stirn wie das Wasser vom Trevi-Brunnen in Rom. 

„So, fertig, hehe.“ 

Er hob die Hand und hielt das Meisterwerk gegen die Sonne. 

„Fische fressen Fliegen und ich esse Fische“, erklärte er und zeigte lachend auf den Haken, der kaum zu erkennen, aus dem Haarbüschel ragte. 

Mit einem kräftigen Ruck versuchte er, aus seiner Hocke hochzukommen. Doch erst das Abstützen mit den Händen am Felsen ermöglichte ihm, seine Füße zu entlasten und für den aufrechten Gang in Stellung zu bringen. Breitbeinig stapfte er Richtung Ufer, in der rechten Hand die Rute und in der linken hielt er sein Federinsekt. Vorsichtig stellte er sein linkes Bein ins seichte Wasser, drehte sich kurz um und lachte dem Jungen zu. Mit ruckartigen Bewegungen begann er, die senkrecht stehende Angelrute zu schwingen. Ein weiter Wurf nach vorne, zurück und wieder nach vorne, ließ die Schnur mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Luft sausen, gefolgt von der Fliege, die danach einige Meter vor ihm am Wasser zu liegen kam. Da tanzte es nun, sein Imitat, und trieb langsam in der Strömung ab. Schritt für Schritt folgte er, zog kurz an der Leine und watete weiter, immer weiter, zog an der Schnur, wirbelte die Fliege durch die Luft und ging wieder weiter. Die rechte Hand nach vorne gestreckt, mit der linken an der Schnur ziehend, entfernte er sich langsam vom Flussrand. 

Die Sonne stand tief und ließ das Tänzeln der kleinen Wellen in einem prächtigen Farbenspiel erscheinen. Eine leichte, kühle Brise deutete das bevorstehende Ende des Tages an. Bis zu den Knien stand der Herr nun schon im Wasser. Die Wellen drückten gegen seine Beine, die sich wie Pfeiler einer Brücke der Strömung entgegenstemmten. Heftig schwang er den langen Stab und steppte, dem Druck langsam nachgebend, nach vor. Der Pegel stieg, der Druck wurde stärker, seine Schritte schneller, immer weiter, immer tiefer, bis er, der Wasserkraft nicht mehr standhaltend, nach vorne fiel und in der Strömung kurz verschwand. Kopf und Arme unter Wasser, die Beine wie zwei aufgeblasene Ballone steil nach oben gestreckt, trieb er ab. Dahinter hüpfte spielerisch sein Hut auf den Wellen, gefolgt von der Angelrute. 
Die Blätter der Birken tanzten im Wind und das Abendrot überzog das Land mit seiner vollen Farbenpracht. Das immer lauter werdenden Tosen des Wassers übertönte das Singen der Vögel und Quaken der Wildenten. Es war kalt. Der Junge stand auf, klopfte die Hosen ab und nahm seine Jacke, die über dem Schild „Achtung Wehranlage“ hing. Er bewunderte die beiden aufgemalten Totenköpfe am Anfang und am Ende der Aufschrift, zog sich die Jacke an und ging nach Hause.

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