Aus die Maus

„Ich bleib bei meiner Meinung, du solltest nicht alleine fliegen. Da investierst du Millionen in ein Flugzeug und diskutierst dann wegen ein paar Tausender für einen Co-Piloten.“

Hannes klopfte dem Taxifahrer auf die Schulter und zeigte zum Fenster raus:

„Hier rein bitte. Zum Flughafen. Hier, GAT.“

„Es geht nicht um ein paar Tausender, Burli. Es geht ums Prinzip. Ich bezahle niemanden, der dann tagelang nur herumsitzt und wartet.“

„Der sitzt nicht herum. Schick ihn einfach mit dem nächsten Flugzeug nach Hause und wenn du ihn wieder brauchst, steht er vor deiner Tür.“

„Du weißt, ich will das nicht und aus die Maus“, würgte Hannes das Gespräch ab.

„Wo bist du überhaupt?“

„Rostock, flieg jetzt nach Hause. Und du? Ist ganz schlechte Verbindung.“

„Orlando“.

„Na dann geh besser ins Bett, ist ja schon mitten in der Nacht bei dir.“

„Nachmittag Hannes, bei mir ist Nachmittag. Bei dir ist es Nacht.“

„Ja, halb Zehn. Ich bin jetzt da. Muss los, ich ruf dich nächste Woche mal an. Da können wir einen Termin ausmachen, bezüglich Checkflug.“

„Alles klar. Denk darüber nach, was ich dir gesagt habe. Ich weiß, dass du gute Arbeit leistest, aber von einem Termin zum anderen hasten und dann in den Flieger springen, ist definitiv keine gute Idee.“

„Jaja, ich melde mich, servus.“

Hannes zahlte und stieg aus dem Taxi. Im Flughafengebäude wurde er bereits von Valerie und den Kindern erwartet.

„Daddy, Daddy“, rief Nolan und lief direkt in Hanne‘s Arme.

„Nolan, bist du heute wieder mein Copilot?“

Er nahm Nolan auf den Arm und streichelte ihm durchs Haar.

„Wart ihr einkaufen?“, fragte er Jade, die, an der Wand lehnend, nicht einmal zur Begrüßung von ihrem I-Phone ablassen konnte.

„Wir haben Badesachen für Nolan gekauft und für Jade einen tollen Bikini“, antwortete Valerie stellvertretend und zeigte auf die Einkaufstaschen neben sich.

„Na, dann kann der Sommer ja kommen.“

Hannes schulterte Nolan, legte einen Arm um Valerie und sie marschierten gemeinsam zum Flugzeug. Kaum war er einige Schritte gegangen, läutete sein Telefon.

„Ja“

„Hey Hannes, wo bist du?“

„Am Flughafen“

„Wie haben hier ein Problem. Die Server. Das reicht einfach nicht.“

„Was meinst du?“

„Zu viel traffic, zu wenig Kapazität. Die Plattform geht laufend offline.“

„Ich bin morgen wieder in Toulouse, dann kann ich mir das ansehen.“

„Morgen? Die Pakete laufen heute Nacht. Morgen ist zu spät, wir brauchen sofort eine Lösung. Jetzt.“

„Bleib mal ruhig. Ich starte in zwanzig Minuten. Bin gegen Mitternacht bei dir. Schau, dass du bis dahin alles am Laufen halten kannst.“

„Alles klar, dann bis gleich, servus.“

Hannes beendete das Gespräch und hob Nolan von seinen Schultern.

„Rein mit dir, kannst dich gleich vorne hinsetzen und du kannst dein Telefon ausschalten. Telefonieren im Flugzeug verboten“, befahl er Jade.

Er schloss die Türe, kletterte ins Cockpit und schaltete die Avionik ein: „Wird gleich warm“, versuchte er die Fröstelnden zu trösten. Er schloss seine und Nolans Gurte und fragte den Tower um die Freigabe.

„Rostock tower, N4535 request startup.“

„N4535 startup is approved.“

Ein gleichmäßiges „tack tack tack“ im Halbsekundentakt, gefolgt von einem dumpfen „bum“ zeugte vom erfolgreichen Start des Triebwerkes. Es roch nach Kerosin. Nolan saß am rechten Sitz, das Headset am Kopf und beobachtete mit großen Augen die Vorgänge. Bis zum Startpunkt waren es nur wenige Meter.

„N4535, ready for take off.“

„N4535, after departure contact radar on frequency one tow seven decimal tow. Cleared for take off runway 28.“

„Cleared for take off runway 28, N4535“, bestätigte Hannes und schob die Hebel nach vorn.

Ein Rütteln durchdrang die Maschine.

„Take off power is set“, flüsterte Hannes ins Mikrofon.

Nolan hielt sich mit beiden Händen fest am Sitz und beobachtete mit Staunen die rüttelnden und schüttelnden Zeiger der Flugzeuginstrumente vor ihm am Instrumentenpanel.

Noch ein letztes Rucken vom einfahrenden Fahrwerk, dann wurde es ruhiger. Valerie stand auf und kam ins Cockpit.

„Wann landen wir?“

„In einer Stunde. Ist ziemlich viel Gegenwind. Werden wir abgeholt?“

„Schatz, wir haben unser Auto am Flugplatz“, erklärte sie liebevoll und streichelte über seinen Kopf.

„Ah, noch besser. Wir sollten es schaffen, bevor der Flughafen geschlossen wird. Wir haben schon wieder Probleme im Hub. Die Pakete müssen noch heute Nacht raus. Unbedingt. Ich fahr gleich direkt ins Verteilerzentrum. Du kannst das Auto nehmen und mit den Kindern nach Hause fahren, ich bestelle mir ein ‚Taxi. “

„Du sollst dich nicht so aufregen. Denk an deinen Blutdruck.“

„Ach“, antwortete Hannes mit einer abschätzigen Bewegung.

„Bekommt Jade ihr Praktikum?“, fragte er nun wesentlich ruhiger.

„Sieht gut aus, wir müssen am Freitag noch mal hin. Schau, Nolan schläft.“

„Lass ihn vorne sitzen, das ist okay so.“

„Hattest du etwas zu essen?“

„Kaum, ich freu mich schon auf Zuhause. Sobald ich zurück bin heizen wir uns den Kamin ein und machen uns einen gemütlichen Abend.“

„N4535, decend to flight level seven zero“, drang es aus dem Kopfhörer.

„N4535, decend to flight level seven zero“, bestätigte Hannes dem Controller.

„Setz dich lieber wieder hin. Wir sind gleich da.“

Sie gab ihm einen Kuss und ging zurück auf ihren Platz.

„N4535, reduce speed to 180.“

„Wir fahren das Zeug herunter und morgen stehen da neue Server.“ murmelte er vor sich hin.

„zweihundertachzigtausend Pakete mal…“

Nolans Kopf nickte zur Seite. Er war müde, es war ein langer Tag. Er schlief tief, festgeschnallt im Copiloten Sitz.

„mal fünfzehn Cent sind …. zweiundvierzigtausend pro Stunde mal … “

„N4535, i say again. reduce speed to 180.“

„Ahh, reducing. N4535.“

Ruckartig zog er die Hebel zurück bis zum Anschlag, presste den Fahrwerkshebel nach unten und setzte die vollen Landeklappen.

„zweihundertachzigtausend Pakete mal fünfzehn Cent sind …. zweiundvierzigtausend pro Stunde mal … “

„N4535, turn left heading 240 and cleared for ILS approach runway 28“

„Turn left 240 and cleared for approach“ erwiderte Hannes während er den Kurs neu einstellte und den Autopiloten auf Approach schaltete.

„zweihundertachzigtausend Pakete mal fünfzehn Cent mal vierundzwanzig…“

Dieses Rechenspiel ließ ihn einfach nicht mehr los. Das gleichmäßige Brummen der Propeller und das dämmrige Licht im Cockpit vermittelten Sicherheit. Alles wie immer. So wie schon bei unzähligen Anflügen zuvor. Inzwischen waren Sie schon sehr tief, kurz vor der Landepiste. Die Lichter der umliegenden Häuser reflektierten in den Plexiglas Scheiben der Seitenfenster. Auch in der Kabine schliefen inzwischen alle.

„pieeeeeep … brrrrrrrrr“, das Steuerhorn vibrierte und dieses ohrenbetäubende Piepsen mochte nicht verstummen.

„Ahhhh, speed!“

Hannes stieß beide Hebel bis zum Anschlag nach vorne. Seine linke Hand umfasste krampfhaft das Steuerhorn und versuchte mit aller Kraft, dem Wegrollen des Fliegers entgegenzuwirken. Trotz vollen Einschlags gegen die Drehbewegung, ließ sich die Maschine nicht aufrichten und rollte immer weiter um die eigene Achse.

„Heee, was ist da los?“

„We have a proble…“

Die Kreiselinstrumente rotierten und Lichtreflektionen blitzten über die Cockpitscheibe. Ein dumpfer Knall. Überall Rauch. Es war finster. Der Geruch von Kerosin breitete sich aus.

„Nolan!“

Hannes hing kopfüber in den Gurten, die Beine festgeklemmt zwischen den Pedalen.

„Noooolan“, rief er nun lauter.

Es blieb ruhig. Nur das regelmäßige Zischen einer Flüssigkeit auf heißem Metall war zu hören.

„Valerie, Valerieeeeee!“

Aus der Kabine war ein Wimmern zu vernehmen. In immer kürzeren Abständen waren nun diese Zischlaute zu hören. Im Sekundentakt, bis sie abgelöst wurden von einem lauten, dumpfen Knall. Ein Feuerpilz stieg auf. Zur gleichen Zeit heulten die Sirenen. Das Blinken der Blaulichter erhellte das Vorfeld und die Einsatzfahrzeuge rasten zur Absturzstelle.

Aus die Maus.

Nolan überlebte den Absturz, verstarb aber wenige Tage später im Krankenhaus. Hannes, Jade und Valerie verstarben unmittelbar nach der Bergung aus dem Flugzeugwrack.

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2 Antworten zu Aus die Maus

  1. Elisabeth Virág schreibt:

    Hallo Manfred, traurige Geschichte, sehr spannend geschrieben.
    Mir sind natürlich ein paar „Kleinigkeiten“ aufgefallen, Du kennst mich ja, teile mir mit, ob Du am Ausbessern interessiert bist.
    Etwas aber gleich: letzter Absatz…“Nolan überlebte den Absturz, verstarb aber kurz darauf……Hannes und Valerie verstarben……“ was ist mit Jade?
    Und es sollte heißen: ..unmittelbar nach der Bergung…
    Deine kritische Leserin Eloisa

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    • Manfred Brunhofer schreibt:

      Hi Elisabeth, vielen Dank für deine Anmerkungen und natürlich bin ich interessiert an Verbesserungen 🙂 besser gesagt, ich erhoffte Kritik. Selber wird man blind für manche Sachen. Da kann man darüber lesen so oft man will.
      Hab ja Jahrelang nicht geschrieben. Langsam aber erwacht sie wieder, die Schreiblaune 🙂 mal sehen, vielleicht gibt’s ja bald wieder neue Kurzgeschichten.
      Auf Jade wurde ich bereits hingewiesen. Sie ist ebenfalls gleich nach der Bergung oder sogar vorher verstorben. Eine Familie ausgelöscht wegen einem Dickkopf, der sich nichts sagen lassen wollte.
      Vielen Dank nochmals fürs lesen und falls dir noch was auffällt bitte her damit :)))
      Lg immer noch aus Málaga

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