Koi

Es war ein heißer Sommertag. Ich saß in meinem Garten, als mein Telefon läutete. Am Apparat war Ralf, der Dispatcher unserer Firma. „Hallo Manfred, können wir Fische nach Korsika fliegen?“.“Fische? Welche Fische?“ fragte ich.“Na Fische halt, mehr weiß ich auch nicht. Die werden anscheinend in einer Box oder einem Karton angeliefert„. „Mir soll’s recht sein“ antwortete ich sichtlich verwundert.

Wir fliegen also Fische nach Korsika, dachte ich mir. Warum auch nicht. Eine Woche zuvor bin ich mit einer Putzfrau samt Putzkübel nach Palma geflogen. Ich habe Kinder von Palermo nach Edinburgh zum Golfspielen gebracht und einen Koffer mit Schmutzwäsche von Griechenland abgeholt. Ich bin auch schon mit einer Katze nach Nizza in die Katzen-Klinik geflogen. Wieso also nicht Fische nach Korsika bringen.

Am Flughafen angekommen, warteten schon zwei Herren auf mich. „Guten Tag, mein Name ist Bodingbauer. Ich bin von der Tierhandlung, die die Fische liefert. Herr Zeillinger“ er zeigte mit der Hand auf seinen Kollegen „Herr Zeillinger ist Veterinär und begleitet uns nach Korsika“. „Was sind das für Fische?“ fragte ich. „Das sind Koi, japanische Koi. Wir haben sie in Schachteln verpackt und Herr Zeillinger wird Ihnen die Details erklären„.
Herr Zeillinger stellte zwei Koffer, die er bisher in seinen Händen gehalten hatte, vor sich auf den Boden und begann mit den Ausführungen.“Also, die Koi befinden sich in Plastikbehältern mit Wasser. Das Wasser ist mit Sauerstoff angereichert und hat derzeit eine Temperatur von ca. 25 Grad. Wir müssen darauf achten, dass die Temperatur möglichst gleich bleibt. Ausserdem sollten Erschütterungen vermieden werden“. „Gibt es diese Fische nicht auch auf Korsika?“ fragte ich. „Ich weiß nicht“ antwortete Herr Bodingbauer mit breitem Grinsen im Gesicht. „Diese sind jedenfalls etwas Besonderes. Da ist ein völlig Weißer mit roten Tupfen dabei“ fuhr er fort. „Sie können direkt zum Flugzeug fahren. Ich werde Ihnen helfen, die Kisten in der Kabine zu verstauen“ erklärte ich den Herren. Inzwischen hatte Herr Zeillinger seine Koffer geöffnet und kramte eines unter vielen Messgeräten hervor. „Wir müssen einen geeigenten Platz finden, wo wir die Fische in der Zwischenzeit hinstellen können“ erklärte er und zielte mit seinem Gerät auf Wände und Boden in unserer Umgebung. „Das ist ein Infrarot-Thermometer“ erklärte er ganz stolz. „Da, ja da ist es gut. Hier ist es kühl genug, hier werden wir die Kartons hinstellen“.

Ein Aufwand ist das, dachte ich mir und ging zum Flugzeug, um alles weitere vorzubereiten. Meinem Kollegen gab ich eine kurze Einweisung bezüglich der Ladung und schon konnte es losgehen. Während Herr Zeilinger schier rastlos die Umgebungstemperatur maß, genoss Herr Bodingbauer Brötchen, Champagner und den wunderbaren Ausblick über die Alpen.

Auf Korsika wurden wir schon erwartet. Zwei Range Rover kamen direkt zum Flugzeug. Wir verluden unter besonderer Vorsicht die Kartons. Herr Zeillinger überprüfte ständig die Umgebungstemperatur. „Ihr könnt gerne mit uns kommen. Es wird den ganzen Tag dauern, bis wir fertig sind“ bot uns einer der beiden Chauffeure an. Wir bedankten uns und stiegen in den Jeep.

Nach einer halben Stunde Fahrt über holprige Straßen und Wege erreichten wir das Ziel. Eine Villa auf einem großen Hügel, im Kolonialstil gebaut. Wir fuhren durch ein Tor, die lange Zufahrtsstraße entlang, den Hügel hinauf. Links und rechts von uns Olivenbäume. „Sieht aus wie eine Olivenplantage“ sagte ich zu meinem Kollegen.

Das Personal des Hauses empfing uns freundlich und half beim Entladen der Kisten. Wieder sprang der Veterinär ganz aufgeregt hin und her, um den optimalen Standort für die Fische zu ermitteln. „Wir brauchen noch etwa eine Stunde. Wir müssen die Temperatur der Behälter mit den Fischen an die des Teiches anpassen. Ausserdem möchte ich vorher noch Wasserproben entnehmen“. „Wo ist der Teich?“ fragte ich ganz naiv. „Ja hier“ und er zeigte auf ein riesiges Bassein mit glasklarem Wasser und Springbrunnen in der Mitte. Komisch, dachte ich. Bei mir zuhause kämpfe ich immer mit Algen in meinem Teich und hier? Klar wie Trinkwasser und das in Korsika, wo die Sonne von früh bis spät auf’s Wasser scheint. „Das ist aber kein Teich, sieht eher wie ein Swimmingpool aus. Da ist sicher Chemie drinnen“ gab ich zu bedenken. „Nein nein, hier sind sehr gute Filteranlagen installiert. Das ist sauberstes Wasser“ antwortete Herr Zeillinger.

Der Herr des Hauses, ein sportlicher Mann mittleren Alters, begrüßte uns. „Fühlt euch wie Zuhause. Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine Terrasse mit Pool. Eine Bar findet ihr auch dort, bedient euch und genießt den Aufenthalt. Ihr könnt gerne schwimmen gehen oder Euch in die Sonne legen„. Er begleitete uns durch das Haus und erzählte von den enormen Restaurierungsarbeiten die er durchführen ließ. Von der Terrasse aus konnten wir den ganzen Hügel und das umliegende Land überblicken. Olivenbäume soweit das Auge reichte. „Die habe ich alle von Griechenland anliefern lassen. Sind 1000 Stück und alles alte Bäume„. Sie waren sein ganzer Stolz. Ich rechnete mir inzwischen aus, wieviele Lastwagen er dazu benötigt hatte. Vielleicht drei Bäume auf einem LKW? Oder fünf? Egal, einfach verrückt viel!

Wir verbrachten die Wartezeit am Pool. Es wirkte, als ob er eine Verlängerung zum Meer hinaus wäre. Als ob man direkt hinaus schwimmen könnte. In Richtung Haus sah es aus, als ob der Pool hindurchfließen würde. Oder ins Haus? Was weiß ich, jedenfalls beindruckend, dachte ich. Wir ließen uns Kaffee servieren und genossen den wunderbaren Ausblick.

Es mussten inzwischen einige Stunden vergangen sein, als ich aufgeregte Stimmen im Haus vernahm. Links von mir sah ich zwei Männer den Hügel hinunter laufen. Kurz danach zwei Mädchen. „Komisch, irgendetwas stimmt hier nicht“ sagte ich zu meinem Kollegen. Kaum ausgesprochen, lief das Hausmädchen auf die Terrasse. „Die Fische, die Fische“ rief sie und zeigte auf die Männer unterhalb des Hügels. „Was ist mit den Fischen?“ fragte ich. „Zuerst sind sie noch so schön geschwommen, dann plötzlich hat sich einer nach dem anderen umgedreht. Bauch oben. Der Nachbar unterhalb hat einen Teich und jetzt versuchen sie, die Fische dort hineinzugeben, sie versuchen, die Fische wieder zu beleben„. Hektisches Treiben in und um das Anwesen. „Der Pool“ sagte ich. „Der Pool geht unter dem Haus durch. Er ist verbunden mit dem Bassin auf der anderen Seite. Das ist pures Chlorwasser!“ bemerkte ich.

Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis alle wieder zurück waren. Ohne Fische natürlich. „Einen nehmen wir mit. Ich möchte ihn Zuhause untersuchen um zu klären, warum sie verendet sind“ sagte Zeillinger zu Bodingbauer. Mit einem, in Zeitungspapier gewickelten, toten Fisch in der Hand, machten wir uns auf den Weg zurück. Statt dem Thermometer trug Herr Zeillinger nun den toten Fisch mit sich herum. Mit der gleichen Hingabe.

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